«Eltern sind nicht an allem schuld»

22.03.2025

Referat und Podiumsdiskussion im Rahmen von Schule trifft Wirtschaft

Mit Beispielen aus der eigenen Familie schlug Prof. Dr. Margrit Stamm Brücken zum Publikum.
Mit Beispielen aus der eigenen Familie schlug Prof. Dr. Margrit Stamm Brücken zum Publikum.

«Eltern sind nicht an allem schuld» – Gelassenheit auf dem Weg zur Lebenstüchtigkeit hilft

Besorgte Eltern, gestresste Kinder, Zukunftsängste – für Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm Gründe genug, Eltern zu mehr Gelassenheit aufzurufen. Zu Gast an der Oberstufe in Frick, sprach sie am Samstag im Rahmen von «Eltern treffen Wirtschaft» der Gewerbevereine des Bezirks Laufenburg. Deren Forderung: «Lasst den Nachwuchs los!»

«Der Nachwuchs ist für uns alle sehr wichtig», begrüsste Franziska Bircher, Präsidentin des Gewerbes Region Frick-Laufenburg (Geref) und Bezirksvertreterin Laufenburg im Kantonalvorstand des Gewerbeverbands die vielen Frauen und Männer am 15. März 2025 in der Aula der Oberstufe Frick und rief die erfolgreiche Zusammenarbeit der örtlichen Schulen mit dem Gewerbe in Erinnerung. Bircher dankte Gastgeber und Schulleiter Lothar Kühne für seinen unermüdlichen Einsatz für «Schule trifft Wirtschaft». Dank der seit über 15 Jahren bestehenden engen Zusammenarbeit der Schulen Laufenburg, Gipf-Oberfrick und Frick mit dem regionalen Gewerbe sei die Region Laufenburg anderen Regionen im Kanton weit voraus. Auch Lothar Kühne hob die Bedeutung des Brückenschlags von Arbeitswelt und Schule hervor. Die Fragen, die sich heute stellten: «Wie rüsten wir unsere Kinder für die anstehenden Herausforderungen und eine Zukunft, die unberechenbar scheint? Wie können Kinder und Jugendliche lebenstüchtig werden?» Allen Schwierigkeiten zum Trotz riet er zu mehr Gelassenheit.

Dazu rate auch sie, meinte Prof. Dr. Margrit Stamm, Leiterin des Forschungsinstituts Swiss Education, Gast-Professorin an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland und mit ihren Publikationen und Forschungsergebnissen eine der prägenden Figuren in der Schweizer Bildungslandschaft. «Die Eltern sind nicht an allem schuld», setzte sie zu ihrem mit persönlichen Erfahrungen gespickten Referat an. Es sei aber erwiesen, dass sich 50 Prozent des Bildungserfolgs eines Kindes mit der Familie erklären liessen. Auch Fakt sei: 60 Prozent der jungen Menschen hätten im Verlauf der Schullaufbahn eine oder mehrere therapeutische Interventionen. «Ein Drittel der 13- bis 19-Jährigen haben psychische Schwierigkeiten. Mädchen 26 Prozent, Buben 7 Prozent.»

Jedes dritte Kind gestresst

Mindestens so wichtig wie die Familie seien Gene, Temperament und Umgebungsfaktoren wie Social Media. Stamm stellte Bezüge her zwischen zu hohen Leistungserwartungen und gestressten Kindern, Überbehütung bzw. Verwöhnung und anspruchsvollen Kindern sowie Eltern-Ängsten verbunden mit unselbständigen Kindern. «Kinder sind wie Seismografen, sie spüren das alles.» Jedes dritte Kind/ Jugendliche fühle sich gestresst. Gefährlich, so Margrit Stamm, seien unqualifizierte Tipps von Influencern zum Umgang mit Stress. Dass Schulschwänzen immer verbreiterter sei, habe auch damit zu tun, dass Eltern die Kinder gewähren liessen, wenn diese sagten, sie bräuchten die Zeit zum Lernen. «Die Eltern wollen ja, dass das Kind in der Prüfung erfolgreich ist.» Sie rief dazu auf, Misserfolge zuzulassen. «Daraus lernen die Kinder.» Und Niederlagen nicht zu eigenen zu machen.

Loslassen wiederum, heisse nicht Laissez-faire. «Kinder brauchen Strukturen und Regeln. Bis zur Pubertät sollten Eltern das Sagen haben.» Mut machte sie mit der Feststellung: «Fast alle Kinder entwickeln sich positiv, viele von ihnen aber nicht gradlinig.»


 
Prof. Dr. Margrit Stamm (von links), Martina Kuhn, Margret Baumann, Moderatorin Denise Schmid, Gion Venzin, Michèle Grellinger und Thomas Leu.
Prof. Dr. Margrit Stamm (von links), Martina Kuhn, Margret Baumann, Moderatorin Denise Schmid, Gion Venzin, Michèle Grellinger und Thomas Leu.

Die zwei Flügel des Schmetterlings – den Nachwuchs loslassen und ihm trotzdem Halt geben

Interessen entdecken und eine Leidenschaft entwickeln für das, was man tut, seien ideale Voraussetzungen, um den individuellen Weg in die Berufswelt zu finden, so die Teilnehmenden am Podium von «Eltern treffen Wirtschaft» am Samstagmorgen in Frick.

«Bereitet die Schule tatsächlich aufs Leben vor?», fragte Moderatorin Denise Schmid. «Auf welches Leben?», fragte Gion Venzin, Oberstufenlehrer an der Schule in Gipf-Oberfrick zurück. «Die Berufswelt an sich ist nicht einheitlich. Dann gibt es eine Welt in der Familie, eine in der Schule, eine zwischen Daheim und Schule und eine Welt Hobby/Freizeit.» Ein gutes Bindeglied sei die Schnupperlehre. «Nur ist die Niederschwelligkeit nicht überall so tief, wie sie sein sollte», so Venzin. Zusammen mit Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Margrit Stamm, Martina Kuhn, Rektorin der Neuen Kantonsschule Aarau, Margret Baumann, Rektorin der Berufsschule Aarau, Michèle Grellinger, Berufsbildnerin bei Helvetia Next.Generation und Thomas Leu, Inhaber Florian Gartenbau, bildete Venzin am Samstagmorgen in der Aula der Oberstufe Frick das Podium zum Thema «Lasst den Nachwuchs los!».

Es sei ein Trugschluss zu meinen, wenn man ein Kind in herausfordernden Zeiten stark behüte, entwickle es ein gutes Selbstbewusstsein, so Margrit Stamm und griff zu einem Bild: «Ein Schmetterling hat zwei Flügel, damit er fliegen kann. Der eine Flügel symbolisiert die Bindung, den sicheren Hafen. Der andere Flügel steht für das Wegfliegen. Schmetterlinge und Kinder brauchen beides.» So sei es zum Beispiel bei der Berufswahl wichtig, dass sich Eltern Zeit nehmen, das Kind zu begleiten. «Das Problem ist, dass wir die Kinder zu lange und zu fest an uns binden.»

Aus der Realschule zu Medaillen

«Als Realschullehrer», so Gion Venzin, «wäre man manchmal froh, die Eltern würden sich etwas mehr einbringen. Wobei auch da die Spannweite von nicht erziehen bis übererziehen, von nicht behüten bis überbehüten, gross ist.» Er arbeite vor allem am Selbstbewusstsein, das diesen Schülern fehle. Die Meinung, mit einem Realschulabschluss finde sich keine gute Lehrstelle, halte sich in der Gesellschaft standhaft, sei aber falsch. «Wir beweisen Jahr für Jahr das Gegenteil.» Eltern empfiehlt er, ruhig und gelassen zu bleiben, auch wenn sich die Suche nach einer passenden Lehrstelle hinziehe.

Der Problematik mit dem Selbstwert bewusst, mache die Realschule bereits vieles richtig, erklärte Margrit Stamm und ortete die Achillesferse der Volksschule beim Defizit-Blick. «Jedes Kind hat eine Stärke. Manche aber werden nur defizitär betrachtet, zum Beispiel Migrantinnen und Migranten.» Wichtig sei, bei jungen Menschen das Positive zu suchen, um sie arbeitsmarktfähig zu machen. «Eine Studie zu den Schweizer Berufsmeisterschaften, den Swiss Skills, hat gezeigt, dass mehr als 30 Prozent der Medaillengewinner aus der Realschule kommen», betonte sie. «Für Schulmüde kann die Beruflehre die zweite Chance sein. Vorausgesetzt, sie werden von den Berufsbildnern unterstützt.»

«Wir brauchen im Gewerbe alle»

Das Interesse «all in» zu gehen sei da, meinte Thomas Leu. «Unser Ziel ist es ja, die jungen Leute nach der Ausbildung im Beruf zu halten.» Für ihn seien zum Beispiel Noten in musischen Fächern und im Sport interessant, «weil sie auf Eigenschaften hinweisen, die wichtig sind, in der Schule aber nicht stark beachtet werden». Leu betonte auch: «Wir brauchen im Gewerbe alle.» Beim 25-Jahr-Jubiläum von Florian Gartenbau im 2024 seien alle ehemaligen Mitarbeitenden und Lernenden eingeladen gewesen. «Zweidrittel sind gekommen und es war schön zu sehen: Es ist aus allen etwas geworden.» Bei der Helvetia, so Berufsbildnerin Michèle Grellinger, wo sechs Berufe angeboten werden, böten kompetenzorientierte Interviews auch jenen eine Chance, «die nicht nur Sechserschnitt haben». Für Kanti-Rektorin Martina Kuhn ist es nicht förderlich, wenn die Eltern zu nahe an den Kantonsschülerinnen und -schülern dran sind. «Wir kommunizieren mit den Jugendlichen. Nur, wenn es nicht gut läuft, suchen wir den Kontakt zu den Eltern.» Für Berufsschul-Rektorin Margret Baumann sind neben den Auszubildenden die Lehrbetriebe die ersten Ansprechpartner. Sie erzählte dem Publikum von ihrer eigenen Tochter, die – Realschülerin in einer Akademiker-Familie – ihren Weg gemacht habe und heute mit 25 Jahren bestens ausgebildet in der Arbeitswelt stehe. «Wir konnten zum Glück loslassen und vertrauen», schloss Baumann den Kreis zum Titel der Veranstaltung, die mit dem Einbezug des Publikums in einer engagierten Fragerunde und einem Apéro mit dem Ziel der Vernetzung schloss.

Text und Fotos: Simone Rufli, NEUE FRICKTALER ZEITUNG


 

Impressionen

Titel Schule trifft Wirtschaft

Gemeinsam für den Berufs-Nachwuchs

Die Gewerbevereine des Bezirks Laufenburg engagieren sich im Rahmen des Projekts «Schule trifft Wirtschaft» gemeinsam für den Berufsnachwuchs in der Region!


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